Mit dem Heißluftballon in die Freiheit

„Vieles aus dieser Zeit scheint mittlerweile in Vergessenheit geraten zu sein, andererseits gibt es auch viele junge Menschen, die diese Zeit gar nicht mehr kennengelernt haben, oder zu jung waren, um sich noch daran zu erinnern.“ Genau das ist der Grund für Günter Wetzel seine Geschichte, die vor allem durch die spektakuläre Flucht mit dem Ballon zum Inhalt mannigfacher, nicht immer wahrheitsgetreuer Berichterstattung wurde, zu erzählen. „Wir glaubten einfach daran, dass es funktioniert.“ Mit dieser einfachen Feststellung versuchte Günter Wetzel den Schülern zu erklären, warum er und sein Freund mit ihren Familien im Herbst 1979 einen selbst gezimmerten Ballonkorb bestiegen und mit dem eigenhändig genähten Ballon die waghalsige Flucht Richtung Westen wagten.

Die Ballonflucht hat bereits in den 80er Jahren die amerikanische Filmindustrie zu einem Spielfilm animiert. In diesem Jahr zog Michael „Bully“ Herbig nach und drehte mit Unterstützung Günter Wetzels den momentan in den Kinos laufenden Film Ballon. „Dieser ist deutlich näher an den Ereignissen als der amerikanische Film, aber trotzdem ein Spielfilm, in dem natürlich manches verändert wurde“, so Wetzel. Diese Lücke zwischen Film und Realität schloss Herr Wetzel bei einem Besuch am Arnold-Gymnasium für die Schüler der 10. Jahrgangsstufe.

Warum die DDR verlassen? So schlimm schien es doch dort gar nicht gewesen zu sein. Vor allem nicht so schlimm, dass man diese gefährliche Flucht mit völlig ungewissem Ausgang auf sich nimmt, noch dazu mit der gesamten Familie. – Diese Frage blieb auch nach dem Besuch des Films „Ballon“ bei den meisten Schülern unbeantwortet. Schulbuchquellen über Einschränkungen der persönlichen Freiheit, Lehrervorträge über die Arbeit der Stasi und Filmsequenzen zum Alltag in der DDR konnten dem Eindruck, dass man in der DDR ganz zufrieden leben konnte, nur bedingt überzeugend etwas entgegensetzen.

Herrn Wetzel als Zeitzeuge gelang genau dies eindrucksvoll. Ohne einseitige Schwarz-Weiß-Malerei zeigte er, wie er als Kind und Jugendlicher die DDR wahrnahm, nämlich im Grunde genommen überhaupt nicht, so wie Kinder und häufig auch Jugendliche heute den Staat kaum wahrnehmen. Er zeigte, dass man in der DDR durchaus gut leben konnte und räumte auch mit Allgemeinplätzen auf, die hinter jedem Nachbarn einen Stasispitzel vermuten. Es gelang ihm jedoch ebenso die zum Teil sehr subtilen Einmischungsversuche des Staats darzustellen, die in dem jungen Erwachsenen den Wunsch wachsen ließen, dieses Land zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern zu verlassen.

Sehr nüchtern im Vergleich zu den im Film gezeigten Szenen, die geprägt sind von der Verfolgungsjagd durch die Stasi, schilderte er, wie gemeinsam mit Peter Strelzyk die Idee zur Flucht mit einem Ballon entstand, wie die Pläne Stück für Stück konkreter wurden, wie an der Umsetzung gearbeitet wurde. Und er gibt auch hier einen guten Einblick in den Alltag der DDR, in dem es zum einen nicht möglich war, das, was man für den Ballon brauchte, einfach zu kaufen, andererseits aber mit Hilfe von Freunden und Arbeitskollegen Stück für Stück auf Umwegen alles zusammengetragen werden konnte.

Er berichtete von den beiden fehlgeschlagenen Versuchen, von den Stasiermittlungen, die nach dem Fund des zweiten, abgestürzten Ballons einsetzten und schließlich von dem dritten Versuch, von dem die Beteiligten wussten, dass es der letzte sein würde. „Der Film war gut, aber der Vortrag von Herrn Wetzel war viel beeindruckender!“, so die einhellige Meinung der Schüler. Gerade dass er ohne die Dramaturgie des Films auskam, machte ihn so glaubwürdig und in der Wirkung nachhaltig.

Nach dem Vortrag nahm Herr Wetzel sich Zeit, die vielen Fragen zu beantworten. Fragen, welche die filmische Umsetzung thematisierten und versuchten, einen Abgleich mit der tatsächlichen Flucht herzustellen, Fragen nach der in der DDR zurückgebliebenen Familie, nach den Reaktionen der Stasi und nach dem neuen Leben im Westen.

Die Ballonflucht mag etwas Einzigartiges bleiben, die man leicht in Erinnerung behält. Herrn Wetzel gelang es darüber hinaus auf beeindruckende Weise die Hintergründe zu zeigen, die für 16 Millionen DDR-Bürger Realität waren. Zu vermitteln, wie der Staat auf manchmal offensichtliche und manchmal sehr subtile Weise in das Leben der Menschen eingriff. Zu zeigen, dass man sich damit arrangieren konnte, dass man aber auch darauf reagieren konnte. Und so als Zeitzeuge eine Zeit zu vergegenwärtigen, die für die Schüler weit zurück liegt und mit dem Jahr 1989 oft auch als abgeschlossen betrachtet wird. „Ganz egal, wie man diese Zeit auch erlebt hat und wie man diese im Nachhinein betrachtet, wir sollten nicht alles in Vergessenheit geraten lassen, denn diese 40 Jahre sind ein sehr wesentlicher Teil unserer Vergangenheit und auch der Geschichte Deutschlands.“ (G. Wetzel)

Tanja Weiglein-Herold