Literaturunterricht anders: Kurt Tucholsky-Lesung

Freitag. Pausenhalle. Die Schüler der Oberstufe nehmen Platz und sehen sich mit dem Portrait eines unbekannten Mannes konfrontiert. Doch es braucht nur etwa eine Stunde, um dieser Person näherzukommen und sie in ihrer individuellen und künstlerischen Bandbreite zu entdecken. Landestheater-Schauspieler Frederik Leberle gibt Kurt Tucholsky seine Stimme und präsentiert dem gespannt lauschenden Publikum ein Portrait eines außergewöhnlichen Intellektuellen der Weimarer Republik.

Dieser etwas andere Literatur- und Geschichtsunterricht wurde der Schule durch den Verein „MakingCulture“ ermöglicht, dessen Vertreterin, Frau Beck-Meinke, die anwesenden Schülerinnen und Schüler begrüßt. Mit dem Verweis auf Erich Kästner, der von Tucholsky als dem „kleinen dicken Berliner“ sprach, „der mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten“, wollte, leitet sie die Lesung ein.

Leberle trägt Ausschnitte aus dem Essay „Dämmerung“ vor, in dem Tucholsky die Angst vor den Entwicklungen der Zeit thematisiert: „Das bürgerliche Zeitalter ist dahin. Was jetzt kommt, weiß niemand. (…) Es dämmert, und wir wissen nicht, was das ist: eine Abenddämmerung oder eine Morgendämmerung.“ Mit weiteren Textauszügen vervollständigt sich das Bild des Mahners, der „Krieg dem Kriege“ fordert und seine Journalistenfreunde zum Neinsagen aufruft, wenn durch Politik und Wirtschaft die Menschlichkeit und die „anständige Gesinnung“ verloren gehen.

Historikerin Franziska Bartl steuert dazu die Ereignisse zwischen den Jahren 1917 und 1930 bei und zeichnet ein anschauliches Bild der Krisen- und Glanzphasen dieser Zeit.

Nach der Pause zeigt sich Tucholsky von seinen anderen Seiten. Der engagierte Journalist analysiert und kritisiert nicht nur sachlich und scharf, sondern versteht es auch, in satirischer Weise Stellung zu beziehen. Grenzen gebe es dazu nicht, als „gekränkter Idealist“ müsse der Satiriker übertreiben, um „blutreinigend“ zu wirken. Er resümiert: Satire dürfe „alles“. Frederik Leberle passt sich in seiner Vortragsweise der Sachlichkeit des theoretischen Textes an, wechselt dann aber den Ton, um Humor und Romantik in Tucholskys Reisebeschreibungen herauszustellen. Den Glanzpunkt der Lesung setzt Leberle mit der Geschichte, in der ein Kind nach der Herkunft der Löcher im Käse fragt. Der Schauspieler schafft es in beeindruckender Weise, die Eskalation im großen Familienkreis vielstimmig lebendig werden zu lassen und Tucholskys Humor lustvoll umzusetzen.

Fazit: „Die Sprache ist eine Waffe, haltet sie scharf!“

Werner Schwarz